Joppe
Joppe

Die alte Inselfabrik

Der Morgen hüllte sich noch ein wenig im restlichen Nebel, als wir uns auf den Weg zu einer längst stillgelegten Fabrik machten. Als wir ankamen, klärte der Himmel nach und nach auf, strahlender Sonnenschein und blauer Himmel mit ein paar vereinzelten Wolken sollten uns den Tag über begleiten. Nachdem wir das Auto ein gutes Stück weiter weg geparkt hatten, spazierten wir zunächst die Straße entlang und hielten unauffällig Ausschau nach einer Möglichkeit, um auf das stillgelegte Gelände zu gelangen. Kurze Zeit später standen wir dann auf dem selbigem.


Vor uns befand sich der Rest einer große Halle, welche durch die zahlreichen Schäden am Dach sehr lichtdurchflutet war, man könnte sogar eher von einer teilweisen dachlosen Halle sprechen. Zunächst und auf den ersten Anblick war ich ein wenig enttäuscht und fürchtete, daß sich hier nicht allzu viele Motive bieten würden, die ich auf meine Speicherkarte bannen könnte. Doch ich sollte mich irren - und das gewaltig. Als wir vorsichtig durch die Halle streiften, um uns zunächst einen groben Überblick zu verschaffen, entdeckte ich bereits die ersten Motive. Sogar einige Maschinen waren dort noch zurück gelassen worden, inzwischen mit feiner Patina überzogen und teils dekorativ verwebt. Mit der Kamera in der Hand machte ich mich schließlich ans Werk. Was anfangs den Anschein einer nur fast leeren Halle hatte, entpuppte sich immer mehr nach einem Eldorado für tolle Motive. Und für Detailverliebte, wie mich, ein wahres Paradies. Das die Natur hier bereits seit Jahren Einzug gehalten hat, ist unschwer an den ganzen korrodierten Überbleibseln zu erkennen. Saftig grün leuchtende Farbtupfer in Form von Farn, Moos und anderen Pflänzchen bieten einen wunderbaren Kontrast in dieser ganzen Industrieromantik.


Seitlich entdecke ich eine aufstehende marode Tür. Was sich dahinter wohl verbirgt? Jetzt aber bloß nicht euphorisch genau darauf zu laufen! Sonst würde ich eine Etage tiefer landen. Mitten in dem Betonboden klafft ein großes rechteckiges Loch. Paßt man ja sowieso in maroden Gemäuern auf, wo man entlang läuft und hintritt, ist hier besondere Sorgfalt und Aufmerksamkeit geboten. Die Fabrik wurde damals an einem Seitenarm eines Flusses errichtet und schaut man an den inzwischen zahlreichen offenen Bereichen nach unten, blickt man u.a. auf sein eigenes wässriges Spiegelbild. Ich umgehe also das Loch und blicke hinter der Tür neugierig um die Ecke. Hier scheinen sich damals vielleicht Büroräume oder gar eine Wohnung befunden zu haben. Da nur noch die Mauern stehen und es offenbar auch einmal gebrannt hat, lassen die Räumlichkeiten nur noch Vermutungen zu. Das Grün entfaltet sich zusehends und trotz das es in den Räumen kaum etwas spektakuläres zu sehen gibt, ist es ein schönes idyllisches Fleckchen, welches seinen maroden Charme auf eigene Weise versprüht. Ich entdecke die Rückseite eines im Mauerwerk eingelassenen rostigen Kastens mit einigen Aussparungen, der förmlich zu einigen Photospielereien einlädt.


Einige Aufnahmen später gehe ich weiter auf Erkundungstour. Eine rostige Treppe führt in das vermeintliche Untergeschoß. Vorsichtig steige ich hinab und vor mir breitet sich ein wunderbarer Anblick aus. Durch das marode Dach und die zahlreichen offenen Bereiche des Hallenbodens über mir, bahnen sich die Sonnenstrahlen ihren Weg und tauchen das von Wasser überzogene Fundament mit seinen Säulen aus Beton in ein wundervolles goldenes Licht. Was für ein schöner Anblick! Ich hocke mich hin und genieße selbigen erst einmal, bevor ich in der "Unterwelt" weiter auf Motivsuche gehe. Eine zu Boden gefallene und völlig korrodierte Lampe hat es mir besonders angetan. Sogar ein Teil der einstigen Glühbirne ist darin noch vorhanden. Es hat den Anschein, als ob das Gehäuse die Glühbirne auffressen möchte, mein Kopfkino springt an und ich verpasse diesem schönen maroden Detail in Gedanken den Namen "der Birnenfresser"*.


Ich mache mich zurück auf den Weg nach oben, suche mir ein Plätzchen am Hallenende und lasse mich dort für ein Weilchen nieder, um erst einmal inne zu halten. Meine Blicke schweifen durch die Halle und ich stelle mir vor, wie einst all die Arbeiter hier die Maschinen bedienten. Es muß hier damals sicherlich sehr laut gewesen sein. Jetzt hört man nur noch das Plätschern des Wassers, das Rauschen der Bäume und vereinzeltes Vogelgezwitscher. Ungefähr hälftig der Fabrikanlage befindet sich links eine große Tür, welche von inzwischen teils zerbrochenen Glasfenstern umrahmt ist. Bereits beim Betreten der Fabrik fiel mir dieses schöne Motiv auf und natürlich war auch die Neugier geweckt, was es dahinter im Dunklen wohl zu entdecken gäbe. Ich mache mich auf den Weg, den Zugang dort zu suchen. Einige Minuten später stehe ich in dem Raum hinter der Tür. Es ist hier beinahe stockfinster und das wenige Licht, welches hier einfällt, hüllt den Raum in Sepiafarben. In dem spärlichen Licht entdecke ich auf dem Tisch vor mir einige Dokumente, u.a. einen Ordner. Auf dem Deckblatt ist die Aufschrift "Unfallverhütungsvorschriften" zu lesen und ich muß unweigerlich etwas schmunzeln. Solch ein Ordner sollte vielleicht in jedem Lost Place ausliegen ;-)


Es gibt hier unheimlich viel zu entdecken, die alten verbliebenen Maschinen an sich sind schon sehenswert und sollten vielleicht besser in einem Museum ein neues Zuhause finden, bevor noch irgendwelche windigen Gesellen diese entfernen, um an dem Schrottgeld zu verdienen. Aber auch die kleineren Details lassen das Herz höher schlagen: an einem korrodierten Wasserhahn hängt ein letzter Tropfen, die Vergänglichkeit ist hier allgegenwärtig. Ein Blick nach oben unter das Dach gibt selbigen auf die einstige Werksirene frei. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese sich beim nächsten Sturm gänzlich löst und durch die bereits große Öffnung herunterkracht. Die Farbanstriche und der Putz an den Wänden bröseln einträchtig vor sich hin, der verbliebene Lack an den alten Holztüren blättert zusehends ab und bietet schöne marode Motive. Ich hätte hier noch viel länger bleiben und die ganze Industrieromantik mit ihrem äußerst schönen maroden Charme genießen können, doch nach Stunden in diesem herrlichen Idyll wurde es dann doch langsam Zeit, die Heimreise anzutreten...



*Der "Birnenfresser" ist zunehmend vom Aussterben bedroht, denn seine natürliche Nahrungsquelle, die Glühbirne, verschwindet immer mehr von der Bildfläche. Man findet den Birnenfresser inzwischen eher selten, vorwiegend nur noch in alten Fabriken, Ställen, Kellern und auf Dachböden. Als gefährlich ist er nicht einzustufen, dennoch sollte man sich ihm mit etwas Vorsicht nähern, denn wie zuweilen zu sehen ist, dauert es manchmal nur einen kurzen Moment, bis das kleine gefräßige Maul plötzlich zuschnappt und er damit der Glühbirne das Lebenslicht ausknipst ;-)



Short facts

Category:  


Industrial

Condition:  


Natural decay

Monitoring:  


Surveillance cameras

Vandalism:  


Moderate Vandalism

Risk level:  


Medium



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