Kamerakram
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Das Schickert-Werk

Tief im Harz, liegt ein Stück vergessener deutscher Industriegeschichte – die Überreste des Schickert-Werks. Ich betrete das Gelände bei brütender Hitze, der Schweiß läuft mir den Nacken herunter. Ich kämpfe mich durch das dichte, kratzige Gestrüpp und hoffe, dass hier nicht all zu viele Zecken auf mich warten. Es ist mühsam. Es ist unangenehm, denn Dornen und Zweige reißen an meiner Kleidung und kratzen über meine Arme. Der Weg zu den alten Gebäuden ist nicht einfach, aber meine Neugier treibt mich weiter voran.


Das Schickert-Werk, eins wichtiger Bestandteil der deutschen Kriegsproduktion im Zweiten Weltkrieg, ist heute ein stiller, verlassener Ort. Nur noch wenige Überreste erinnern daran, was hier einst produziert wurde: Wasserstoffperoxid, auch bekannt als T-Stoff. Doch davon ist jetzt kaum noch etwas zu erkennen und ich bin eigentlich doch ganz froh, dass diese Zeit lange vorbei ist.


Als ich das Gelände erreiche, wirkt es fast surreal. Vor mir steht ein großes, verfallenes Gebäude. Die Fenster sind bereits zerbrochen. Die Natur hat sich ihren Weg zurückerobert, und Sträucher und Gräser wachsen ungestört durch die Ritzen und Spalten der Ruinen. Nur das Rauschen des Windes und das Summen von diversen Insekten ist zu hören.


Ich trete durch einen der Eingänge und finde mich in einem langen, dunklen Gang wieder. Die Hitze draußen lässt den Innenraum stickig und bedrückend wirken. Staub tanzt im schwachen Licht, das durch die zerbrochenen Fenster fällt. Die Korridore, die einst belebt waren, sind jetzt nur noch leere, verwitterte Räume.


Ich gehe langsam durch den Flur und sehe, wie sich die Natur ihren Weg ins Innere bahnt. Moos bedeckt zum Teil die Wände, und der Boden knirscht unter meinen Schritten. Es gibt jedoch kaum noch etwas zu entdecken, das auf die ursprüngliche Verwendung des Ortes hinweist.


Das übriggebliebene Gebäude ist weitgehend leer. Nur an wenigen Stellen findet man noch Überreste, wie zum Beispiel im Bürotrakt des Gebäudes. Es ist irgendwie ein seltsamer Ort.


Das Treppenhaus, das ich im hinteren Teil des Gebäudes entdecke, ist besonders beeindruckend. Die Stufen sind bröckelig, und die Wände sind mit Moos bedeckt. Es sieht fast so aus, als würde die Natur das Gebäude langsam verschlingen, Stück für Stück. Jeder Schritt hallt durch das verlassene Treppenhaus, während ich mir vorstelle, wie die Arbeiter hier einst hinauf- und hinuntereilten. Von diesem Treppenhaus aus kann man sehen, wie die Nachbarn gerade bei lauter Musik ihren Pool reinigen. Zum Glück scheinen sie sich nicht weiter für mich zu interessieren.


Ich klettere durch ein zerbrochenes Fenster, um einen Blick in eine der alten Produktionshallen zu werfen. Wenigstens sieht es so aus, als wäre hier einmal etwas produziert worden. Sicher kann ich mir allerdings nicht sein. Der Raum ist überwuchert, und das Sonnenlicht, das durch die zerbrochenen Fenster fällt, malt bizarre Schatten an die Wände. 


Die Hitze des Tages macht das Erkunden mühsam, und der Weg durch die überwucherten Ruinen ist anstrengend und zum Teil auch schmerzhaft. Alles ist leer, still und vergessen.


Obwohl das Gelände beeindruckend groß ist, gibt es kaum noch etwas zu sehen, das an seine einstige Verwendung erinnert. In den letzten Jahren gab es Versuche, das Gelände einer neuen Nutzung zuzuführen, doch bisher blieb alles beim Alten: ein verlassener Ort, der darauf wartet, seine Geheimnisse preiszugeben, oder für immer unter sich zu begraben.


Die Historie

Das Schickert-Werk in Bad Lauterberg ist ein bedeutendes Relikt der deutschen Industriegeschichte, das während des Zweiten Weltkriegs eine zentrale Rolle in der Rüstungsproduktion spielte. Gelegen am nördlichen Ortsausgang von Bad Lauterberg im Harz, war es einst eine hochspezialisierte Produktionsstätte für Wasserstoffperoxid, das unter dem Tarnnamen “T-Stoff” in der Kriegsindustrie des Deutschen Reichs verwendet wurde. Die Geschichte dieses Werks spiegelt den Aufstieg und Niedergang einer ganzen Ära wider, geprägt von technologischen Fortschritten, militärischer Nutzung und dem Wandel der Nachkriegszeit.


Die Gründung und der Aufbau des Werks

Die Anfänge des Schickert-Werks lassen sich auf das Jahr 1938 zurückführen, als das Deutsche Reich unter dem Druck der Aufrüstung stand und die Nachfrage nach speziellen chemischen Stoffen wie Wasserstoffperoxid stark anstieg. Diese Chemikalie war für die Luft- und Seestreitkräfte von großer Bedeutung, da sie als Treibstoff für Raketenantriebe, U-Boot-Turbinen und Flugzeugstarter verwendet wurde. Um den steigenden Bedarf zu decken, entschied sich die Firma Elektrochemische Werke München (EWM), eine neue Produktionsstätte im Odertal bei Bad Lauterberg zu errichten.


Die Wahl des Standorts fiel auf Bad Lauterberg aufgrund der Nähe zur 1933 errichteten Odertalsperre, die ausreichend Wasser für die Kühlung der Elektrolyseanlagen und die Dampferzeugung lieferte. Im Sommer 1938 wurden die Planungen konkret, und im Dezember desselben Jahres wies der Reichsminister der Luftfahrt die EWM an, den Ausbau des Werks sofort und in vollem Umfang voranzutreiben. Zeitgleich wurde die Gründung einer Tochtergesellschaft, der Otto Schickert & Co. KG (Osco), beschlossen, die nach außen hin als Betreibergesellschaft des Werks auftrat, um die eigentlichen Eigentümer zu verschleiern.


Die Bauplanung des Werks wurde dem Architekten Proebst aus Ingolstadt übertragen, der die Anlage als ein Werk aus fünf identischen, voneinander unabhängigen Produktionseinheiten konzipierte. Diese Aufteilung ermöglichte eine kontinuierliche Produktion, selbst wenn eine der Einheiten ausfallen sollte. Die Bauarbeiten gingen zügig voran, und bereits Ende Januar 1941 konnte die erste Halle zur Herstellung von 35%igem Wasserstoffperoxid in Betrieb genommen werden. Im Laufe des Jahres 1941 wurden weitere Hallen fertiggestellt, und bis Juni 1944 war das Werk mit fünf Produktionshallen vollständig betriebsbereit.


Produktion und Bedeutung während des Zweiten Weltkriegs

Das Schickert-Werk in Bad Lauterberg spielte eine zentrale Rolle in der Kriegsanstrengung des Deutschen Reichs. Das produzierte Wasserstoffperoxid, bekannt als “T-Stoff”, wurde für die Antriebe von Raketen, Düsenflugzeugen, Torpedos und U-Booten verwendet. Besonders wichtig war die Verwendung dieses Treibstoffs in den Raketenprojekten des Dritten Reichs, darunter die berüchtigte V2-Rakete, die als eine der ersten ballistischen Raketen in die Geschichte einging.


Das Werk beschäftigte während seiner Hochphase bis zu 1.257 Arbeiter, darunter auch eine erhebliche Anzahl an Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, die in einem speziell dafür errichteten Lager untergebracht waren. Die Arbeitsbedingungen waren, wie in vielen ähnlichen Einrichtungen, extrem hart, und die ausländischen Arbeitskräfte waren oft lebensgefährlichen Situationen ausgesetzt.


Die strategische Bedeutung des Schickert-Werks für das Deutsche Reich spiegelte sich auch in den immensen Kosten wider, die für den Bau und Betrieb der Anlage aufgewendet wurden. Die vollständig vom Reich getragenen Baukosten beliefen sich auf etwa 70 Millionen Reichsmark, was die enorme Bedeutung dieser Produktionsstätte unterstrich.


Das Schickert-Werk nach 1945

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam auch das Ende des Schickert-Werks in seiner ursprünglichen Funktion. Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs wurde das Werk von den Alliierten übernommen und weitgehend demontiert, um die militärische Infrastruktur des besiegten Deutschlands zu zerschlagen. Viele der Maschinen und Anlagen wurden abgebaut und entweder zerstört oder in andere Länder überführt.


In den folgenden Jahrzehnten erlebte das Gelände des ehemaligen Schickert-Werks verschiedene Nachnutzungen. Kleinere und mittlere Betriebe zogen in die verbliebenen Hallen ein, darunter Unternehmen aus der Holzverarbeitung, dem Lebensmittelhandel und der Baustoffindustrie. Doch in den 1970er und 1980er Jahren wurden die meisten dieser Hallen abgerissen, und das Gelände begann zu verfallen.


1990 kaufte die Stadt Bad Lauterberg das Gelände zum symbolischen Preis von einer Deutschen Mark von der Industrie-Verwaltungsgesellschaft (IVG) und begann, die verbliebenen Gebäude zu entfernen. Bis auf das ehemalige Verwaltungsgebäude und ein Wachhäuschen wurden alle Bauwerke dem Erdboden gleichgemacht. Das Gelände blieb jedoch größtenteils ungenutzt und verfiel zusehends.


Heutiger Zustand und Pläne für die Zukunft

Heute erinnert nur noch wenig an die einstige Bedeutung des Schickert-Werks. Das Gelände liegt brach, und die verbliebenen Gebäude verfallen weiter. In den letzten Jahren gab es verschiedene Pläne, das Gelände einer neuen Nutzung zuzuführen. So gab es 2016 Überlegungen, auf dem 110.000 Quadratmeter großen Areal einen Ferienpark mit über 1.000 Betten zu errichten. Diese Pläne zerschlugen sich jedoch, und das Gelände bleibt bis heute ungenutzt.


Die Geschichte des Schickert-Werks Bad Lauterberg ist ein Beispiel dafür, wie tiefgreifend die Spuren von Krieg und Industrie in einer Region verankert sein können. Das Werk, einst ein Symbol für technologische Innovation und militärische Macht, steht heute als stummer Zeuge einer vergangenen Epoche. Die verbliebenen Gebäude und das brachliegende Gelände erinnern daran, wie vergänglich menschliche Errungenschaften sein können und wie die Natur sich langsam die von Menschen geschaffenen Strukturen zurückerobert.


Kurze Fakten

Kategorie:  


Industrie

Baujahr:  


2024

Verlassen seit:  


2024

Zustand:  


Entkernt

Überwachung:  


Keine

Vandalismus:  


Erheblicher Vandalismus

Schwierigkeitsgrad:  


Mittelmäßig

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