Kamerakram
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Kindergenesungsheim Bergfrieden

Es ist schwül, als ich den Waldweg entlanglaufe. Die Luft ist still, fast schwer – und je weiter ich gehe, desto dichter wird das Gestrüpp. Dann plötzlich: zwischen den Bäumen erscheint eine Ruine. Verwuchert, grau, verbrannt – Bergfrieden. Das ehemalige Kindergenesungsheim wirkt nicht wie ein Ort, den man besuchen sollte. Und gerade das zieht mich an.


Schon der erste Schritt über die Schwelle fühlt sich wie ein Zeitsprung an. Der Boden knirscht unter mir. Eine alte Brotdose liegt im Flur, das Plastik gesprungen, der Aufdruck verblasst. Ich gehe langsam, die Kamera in der einen Hand, die andere bereit, sich irgendwo festzuhalten. Überall ist es offen, fragil. Türen fehlen, Wände sind rußgeschwärzt. In einem Raum liegt ein halb verkohltes Kinderbett. Daneben: ein kleiner Schuh. Ich friere kurz, trotz der Hitze.


In einem Nebenzimmer liegt ein Buntglasfenster zerschmettert auf dem Boden, die farbigen Splitter funkeln im Licht, das durch das zerstörte Dach fällt. Ich folge einer vermoosten Treppe – sie biegt sich unter meinem Gewicht, der Handlauf fehlt. Oben riecht es nach Asche, feuchtem Holz, altem Linoleum. Die Decke ist durchgebrochen, und in der Mitte des Raumes wächst ein Farn wie ein Mahnmal aus dem Dielenboden.


Ich betrete einen alten Speisesaal. An der Wand hängt noch eine verblasste Anleitung für Händewaschen. Daneben: ein Brettspiel, zerfetzt, mit Murmeln, die sich in die Ecken verkrochen haben. Ich stelle mir vor, wie Kinderstimmen hier klangen. Wie Teller geklappert haben. Wie jemand das Fenster öffnete, um frische Waldluft hereinzulassen.


Doch jetzt herrscht nur noch Stille. Kein Geräusch außer dem Knacken des alten Gebäudes und dem entfernten Rufen eines Vogels. Ich verharre. Dieser Ort fühlt sich an wie ein Echo – und ich bin mittendrin.



Die Historie

Das Gebäude, das heute fast vollständig überwuchert ist, wurde ursprünglich als Sommerhaus des Fabrikanten Gustav Lohoff erbaut. Im Jahr 1952 übernahm die AOK Goslar das Anwesen und wandelte es in ein Kindergenesungsheim um. Der Name: Bergfrieden. Die Mission: Erholung und Stärkung für Kinder mit Atemwegserkrankungen, Tuberkulosegefahr oder Entwicklungsverzögerungen – ein typisches Modell der Nachkriegszeit.


Unter der Leitung von Dr. med. Fritz Wilhelm und seiner Frau Liselotte Wilhelm, einer engagierten Fürsorgerin, entwickelte sich das Heim zu einer der bekanntesten Einrichtungen seiner Art in Niedersachsen. Bis zu 60 Kinder gleichzeitig lebten hier, meist über einen Zeitraum von vier Wochen.


Doch wo offiziell Erholung und medizinische Versorgung im Mittelpunkt standen, berichten ehemalige Heimkinder und Mitarbeitende später von einem rigiden, autoritären Alltag: Liegezwang auf harten Lattenrosten, strenge Diätpläne, kaum Kontakt zur Familie. Stattdessen Kontrolle, Einsamkeit und der ständige Druck, sich anzupassen. Mit dem Wandel der pädagogischen und medizinischen Standards verlor das Heim zunehmend an Bedeutung. 1987 wurde es endgültig geschlossen. Offiziell aus wirtschaftlichen Gründen, möglicherweise aber auch, weil das Konzept aus der Zeit gefallen war.


Seitdem steht der Bau leer. Er wurde nie abgerissen, aber auch nie wirklich vergessen. Heute zieht er Urbexer:innen, Fotograf:innen und stille Beobachter an. Ein Ort, der Fragen stellt und offen lässt.



Kurze Fakten

Kategorie:  


Kinderheime & Kindergärten

Baujahr:  


1952

Zustand:  


Schlechter Zustand

Überwachung:  


Keine

Vandalismus:  


Schwerer Vandalismus

Schwierigkeitsgrad:  


Mittelmäßig



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