Kamerakram
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Das verlassene Eisenwerk

Kurz nach Sonnenaufgang treffen wir uns in einer Nebenstraße des verlassenen Eisenwerks. Um uns herum stehen viele Einfamilienhäuser. Gefühlt schauen aus jedem Fenster mehrere Augenpaare zu uns herunter und warten nur darauf, dass wir irgendwas falsches machen. Ich vermute mal, dass wir nicht die einzigen sind, die sich hier genauer umschauen wollen. Wir entschließen uns aufzubrechen, bevor wir noch mehr Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Mit Kamera, Taschenlampen und allerhand anderen Utensilien ist man eben immer auffällig.


Wenige Meter trennen uns noch vom verlassenen Eisenwerk. Die Schranke der ehemaligen Einfahrt ist geöffnet und darin steht ein Bauzaun. Dieser lässt aber zu beiden Seiten noch ausreichend viel Platz, um einfach daran vorbeilaufen zu können. Das Gelände scheint riesig zu sein. Als ich es mir vor unserem Besuch bei Google Maps angeschaut habe, dachte ich mir schon, dass dieser Lost Place nicht so klein sein wird, aber damit hatte ich nicht gerechnet. Wir müssen uns nun erstmal einen Überblick verschaffen.


Links von uns geht es zwischen zwei Hallen entlang auf einen weiteren großen Hof. Wir machen ein paar Fotos und setzen unsere Erkundung fort. Relativ schnell fällt hier auf, dass es so gut wie gar keine Graffitis oder Schmierereien gibt. Selbst die meisten Fensterscheiben sind noch ganz. Scheinbar liegt hier wirklich ein fast unberührter verlassenen Ort vor uns. Die Spannung steigt. Das Gelände zieht sich ewig weit. Wir laufen in Richtung der ehemaligen Parkplätze und Lieferzonen. Hier stehen noch ein paar weitere Hallen. Die Rolltore sind geöffnet und wir klettern hinein. Im Inneren stapeln sich diverse Gussformen. Teilweise meterhoch. Was die wohl einmal wert gewesen sind? Günstig war das bestimmt alles nicht. Ich frage mich bei solchen Dingen immer, warum die nach der endgültigen Schließung niemand verkauft hat, aber das soll nun nicht meine Sorge sein.


Das Lager ist komplett voll mit irgendwelchen Formen und Teilen. Auf manchen ist CAT zu lesen und bei einigen kann man die Form einer Baggerschaufel erahnen. Die Räume sind durch das noch relative wage Tageslicht in tolle Farben getaucht. Es ist das perfekte Wetter um Lost Places zu erkunden. Es ist hell genug, trocken und angenehm kühl. Es gibt nichts schlimmeres als sich bei 35 Grad Außentemperatur durch irgendwelche verfallenen Gebäude zu quälen. Nachdem wir mit der Lagerhalle fertig sind, laufen wir zurück zu dem eigentlichen Gebäudekomplex des ehemaligen Eisenwerks. Wir haben auf dem Hinweg gar nicht gemerkt, dass hier überall Überwachungskameras aufgehängt wurden. Ob diese noch funktionieren können wir nicht erkennen, aber wir werden es ja merken. Noch hat sich hier niemand blicken lassen und das bleibt auch hoffentlich so.


Als nächstes laufen wir von dem großen Innenhof in eine Art Werkstatt, denn auch hier sind alle Tore geöffnet. Hier herrscht totales Chaos. Hier haben wohl auch schon irgendwelche Menschen gewütet. Es ist mir völlig unverständlich, warum man sich an solchen Orten so verhalten muss. Trotzdem ergeben sich durch die verschiedenen Gegenstände und das Licht wunderschöne Motive. Man kann trotz des Chaos noch erkennen, wie die Menschen hier früher einmal gearbeitet haben müssen. Wir haben hier wirklich einen tollen Lost Place mitten in NRW entdeckt.


Von dieser Werkshalle laufen wir rüber in die großen Produktionshallen. Der Boden ist von Anfang an mit Asche, Sand und Dreck bedeckt. Wenn man die Augen zumacht, sich den Geruch wegdenkt und Wellenrauschen einspielt, könnte man meinen, man wäre am Meer. Links und rechts sind gemauerte Abgrenzungen, die man mit schweren Vorhängen verschließen konnte. Ich denke, dass hier einmal drin geschweißt worden ist. An der Decke sind Schienensysteme und Kräne aufgehängt. Es ist offensichtlich, dass hier schwere körperliche Arbeiten durchgeführt wurden. Auf einem Schild steht geschrieben, dass hier noch 2018 gearbeitet worden ist. Generell ist hier noch alles sehr unversehrt. Es wäre toll, wenn jeder Lost Place so wäre.


Die Halle, in der wir uns nun finden, scheint gar kein Ende nehmen zu wollen. Kommt man zu einer Wand, findet man irgendwo eine Treppe, über die man direkt auf eine höhergelegene Etage gelangt. Hier setzt sich die endlose Halle dann einfach fort. Man findet auch hier wieder überall verschiedene Gussformen. Die Keller, kleinere Räumen an den Seiten der Hallen, alles ist voll mit Gussformen. Irgendwann erreichen wir den Bereich, indem das Eisen gegossen wurde. Verschiedene Öfen und Gießmaschinenen stehen noch genau dort, wo sie auch am letzten Arbeitstag gestanden haben müssen.


Mit der Taschenlampe in der Hand geht es nun in die kleinen angrenzenden Räume. Hier scheint so wenig Licht von draußen herein, dass man ohne sie aufgeschmissen wäre. Ich stehe in einem ehemaligen Sanitätsraum. Große grüne Schränke und allerhand Verbandsmaterial liegt herum. Auf den Schreibtischen stehen noch die Kaffeetassen der Angestellten. Es wirkt fast so, als hätte niemand gewusst, dass es sich um den letzten Arbeitstag handelte. Die anderen Räume wurden als Lager, oder Pausenräume genutzt. Zumindest dachte ich das, bis ich auf einmal in einer Art Labor stehe.


Hier findet man verschiedene Chemikalien, einige davon sind quer über den Boden verteilt. So richtig wohl ist mir nicht dabei, vorsichtig darüberzusteigen. Ich weiß schließlich nicht genau, welche Substanzen hier herumliegen. An den Wänden sind Abzugshauben befestigt, wie man sie noch aus dem Chemieunterricht kennt. Auf den Tischen liegen Broschüren über Produkte und Wissenschaftsmagazine. Es ist wahnsinnig interessant sich hier umzusehen, aber wir haben leider nicht unendlich viel Zeit. Nicht nur auf den Uhren an der Wand ist die Zeit stehengeblieben.


Irgendwann sind wir mit den großen Produktionshallen durch. Ich kann diese ganzen Eindrücke gar nicht in Worte fassen. Es war einfach viel zu viel. Hier könnte ich auch noch ein zweites und drittes Mal vorbeischauen und würde bei jedem Besuch neue Dinge entdecken können. Da uns die Zeit etwas im Nacken sitzt, begeben wir uns nun nach draußen. Mittlerweile sind wir aber auch froh, mal wieder frische Luft einatmen zu können. Ich habe leichte Kopfschmerzen und ein seltsames Gefühl im Mund. Was auch immer da in der Halle herumfliegt, sonderlich gesund es es vermutlich nicht.


Wir stehen in einem anderen Innenhof und müssen uns erst einmal orientieren. Hier sind wieder neue Gebäude zu sehen. Wir laufen hinein und stellen fest, dass hier vermutlich die Gussformen entwickelt worden sind. Es sind Holzwerkstätten mit kleinen angrenzenden Pausenräumen und einem Büro. Hier wurde ebenfalls nichts weggeräumt. Ein bisschen Verwüstung ist normal, aber es ist erstaunlich wenig. Weniger überraschend ist, dass auch hier wieder jede Menge Gussformen gelagert werden. Ich möchte zurück an die frische Luft. Lost Places zu entdecken ist anstrengend. Oftmals ist es modrig und das atmen fällt irgendwann schwerer. Noch dazu ist es nun auch sommerlich warm geworden. Ich stehe auf dem Innenhof und schaue mich um.


Auf einmal kommt ein fremder Mann um die Ecke. Er trägt eine dunkle Stoffhose und ein blaues Hemd mit Krawatte. Was das bedeutet ist klar – Wir wurden gerade erwischt. Er ist ungefähr drei Köpfe kleiner als ich und kommt auf uns zugelaufen. Er begrüßt uns überraschend freundlich und fragt, was wir hier machen würden. Wir erzählen ihm, dass wir fotografieren würden, um die alte Industriekultur zu dokumentieren. Der ältere Mann der Security Firma hört uns in Ruhe zu und sagt, dass wir dafür eine Genehmigung bräuchten. Wir bieten ihm an, das Gelände nun zu verlassen und bedanken uns bei ihm für sein Verständnis. Glück gehabt. Nach über 2 1/2 Stunden haben wir unzählige Fotos und Eindrücke gesammelt. Es ist also nur ein bisschen Schade, dass diese Lost Places Tour schon wieder durch einen Sicherheitsdienst beendet wurde.


Die Historie

Das verlassene Eisenwerk war eine Stahl- und Edelstahlformgießerei, die überwiegend mit unlegierten, niedriglegierten und hochlegierten Werkstoffen gearbeitet hat. Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1911 und blickte damit auf eine 109-jährige Geschichte zurück. Das Eisenwerk bzw. die Gießerei stellte Stahlgußformen her, die nationale und internationale Kunden belieferte. Diese Formen wurden unter anderem auf hoher See, in Kraftwerken und in der Erdölförderung eingesetzt.


Viel mehr lässt sich aktuell über die Geschichte des verlassenen Eisenwerks nicht herausfinden. Fest steht, dass das Unternehmen ab dem Jahr 2016 immer wieder in finanzielle Schieflage geriet, mehrmals umfirmierte und schließlich im Jahr 2018 endgültig liquidiert worden ist. Seitdem ist die alte Gießerei ein weiterer wunderschöner Lost Place in NRW.


Kurze Fakten

Kategorie:  


Industrie

Baujahr:  


1911

Verlassen seit:  


2018

Vandalismus:  


Geringer Vandalismus

Schwierigkeitsgrad:  


Gering



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